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Samstag, 4. März 2017

Helga König: Sonntagskolumne, 5.3.2017

"Vom Schlechten kann man nie zu wenig und das Gute nie zu oft lesen: Schlechte Bücher sind intellektuelles Gift; sie verderben den Geist. Um das Gute zu lesen, ist eine Bedingung, dass man das Schlechte nicht lese: denn das Leben ist kurz, Zeit und Kräfte beschränkt." (Arthur Schopenhauer). 

Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788- 1860) schloss die Bewegung des deutschen Idealismus ab und gilt zugleich als Hauptvertreter des Pessimismus. 

Das obige Zitat des Privatgelehrten habe ich dieser Tage auf Twitter gelesen und frage mich seither, ob ich zustimmen kann. 

Schopenhauer lebte in einer Zeit, wo der Anteil der Lese- und Schreibkundigen noch gering war. Erst um 1860 kam es zu einer Wende. Wer lesen und schreiben konnte, war allerdings noch lange kein Bildungsbürger, d.h., ein Mensch, der wie Arthur Schopenhauer der Bildungsschicht angehörte und insofern humanistische Bildung sowie Literaturkenntnisse sein eigen nannte. 

Die Anzahl der publizierten Bücher war noch überschaubar und insofern konnte man sich einfacher als heute einen Überblick verschaffen, vermochte möglicherweise dem kleinen Kreis von Rezensenten, die neue Publikationen beurteilten, eher vertrauen als heute der Masse an Möchtegernkritikern und sich somit sogenanntes "intellektuelles Gift" ersparen. 

Doch was mag "intellektuelles Gift" für Leser wie Schopenhauer gewesen sein? Wovor hatte er Angst? Um dies auszuloten, müsste man all seine Texte und zudem seine Biografie gelesen haben. Hier muss ich passen. 

Wie muss der Geist eines Bildungsbürgers beschaffen sein, der glaubt, durch die Lektüre eines Buches intellektuell verunreinigt  zu werden? 

Was  könnte  den Geist von Lesern heute vergiften? Die Fülle von Ratgeberliteratur? Seichte Krimis oder noch seichtere Liebesromane? Stilistisch einem Kopfzerbrechen bereitende Philosophiebücher? Bedenkliche politische Schriften von ideologischen Vordenkern des rechten oder linken Lagers? 

Der Geist kann, sofern er kritisch und ausgereift ist, m. E. intellektuell nicht vergiftet werden. Wer inneren Abstand zur Lektüre hält, mit der er sich befasst, wird durch jedes Buch einen intellektuellen Mehrwert verzeichnen können, weil man durch alles, auch durch das handwerklich oder inhaltlich Bedenkliche, lernt. 

Sich Leseverbote aufzuerlegen, aus Angst zu verblöden oder bildungsbürgerlicher ausgedrückt "intellektuell vergiftet" zu werden, zeugt von mangelnden Selbstvertrauen in die eigene Denkfähigkeit.  

Wer wie Schopenhauer in den Kategorien "gut" und "schlecht" denkt, wertet. Seit den Zeiten der Internetbewertungsportale hat Werten einen inflationären Charakter angenommen und sich damit mittlerweile ad absurdum geführt, auch wenn sich dies noch nicht überall herumgesprochen hat.  

Bei der Fülle von Büchern, die jedes Jahr veröffentlicht wird, greift selbst ein sachkundiger Leser hin und wieder daneben und erwischt ein Buch, das ihm keine neuen Erkenntnisse schenkt. Ist ein solches Buch deshalb schlecht? 

Bücher erscheinen uns dann wenig interessant, wenn sie einen geistigen Reifegrad anpeilen, den wir bereits durchlaufen haben oder von dem wir noch Lichtjahre weit entfernt sind. 

Entscheidend ist der Erbauungs- oder Erkenntnisgewinn eines Buches, dessen Höhe durch jeden Leser individuell bestimmt wird. Insofern gibt es kein generell gutes oder schlechtes Buch. Werturteile sind subjektiv und bleiben es bis in alle Ewigkeit.

Was anzustreben ist, sind aufgeklärte Leser, denn diese können von ideologisch bedenklichen Büchern intellektuell nicht vergiftet werden, zudem werden solche Leser durch seichte Liebesromane auch keineswegs zu sentimentalen Heulsusen gemacht. 


Helga König

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