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Sonntag, 26. November 2017

Sonntagskolumne Helga König: 26.11.2017

"Eine Eiche und ein Schilfrohr stritten über ihre Stärke. Als ein heftiger Sturm aufkam, beugte und wiegte sich das Schilfrohr im Wind, um nicht entwurzelt zu werden. Die Eiche aber bleibt aufrecht stehen und wurde entwurzelt." Aesop, um 550 v. Chr. 

Gestern hat der Autor Raimund Schöll, dessen Buch "Alltagsfluchten" ich vor kurzem auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert habe, obigen Text des griechischen Fabeldichters Aesop auf Twitter gepostet. Als ich den Tweet las, entschied ich mich spontan, im Rahmen einer Kolumne zu hinterfragen, was der alte Grieche dem Leser hier eigentlich mitteilen möchte. 

Der Dichter Aesop wurde erstmals bei Herodot im 6. Jahrhundert erwähnt. Er soll als Sklave nach Samos gekommen sein und wurde dort von seinem Herren aufgrund seines Esprits freigelassen. Laut Plutarch wurde Aesop Opfer eines Justizirrtums und ist in Delphi ermordet worden. 

Äsopische Fabeln sind mythische oder auch weltliche kurze Erzählungen, die als Gleichnis in Erscheinung treten. Dabei werden Pflanzen oder Tieren menschliche Eigenschaften bzw. Verhaltensmuster zugeschrieben, um diese zu demaskieren. 

Ist es ein Ausdruck von Stärke, sich wie Schilfrohr im Wind jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, um auf diese Weise, egal was ist oder kommt, möglichst zu überleben? 

Gibt es nicht Situationen, die es erforderlich machen, für seine ethische Grundhaltung sogar mit seinem Leben einzustehen? 

Ist ein Mensch nicht gerade dann innerlich stark, wenn er aufrecht wie eine Eiche zu seinen Positionen steht und billigend in Kauf nimmt, dass er dadurch mit vielen Nachteilen, vielleicht sogar mit seinem Tode rechnen muss? 

Waren eine Sophie Scholl und all jene Märtyrer in der Menschheitsgeschichte, die sich dem Bösen widersetzten, einfach nur dumm oder doch eher die klügsten und innerlich stärksten Persönlichkeiten, die die Menschheit hervorbrachte? 

Despoten in allen Jahrhunderten schätzen Menschen, die sich wie Schilfrohr im Wind anpassen, denn solche Menschen lassen sich für jede Schandtat als willige Helfer einsetzen. Ein Mensch, der fest in seinen ethischen Grundsätzen verwurzelt ist, wird es darauf ankommen lassen, weil er weiß, dass der Verrat dieser Grundsätze ihn entseelen würde. 

Wer seine ethischen Grundsätze verrät, um sich am Trog eines Despoten aufzumästen, verliert das, was einen Menschen zu einem innerlich starken Menschen macht: die Persönlichkeit. 

Gottlob gibt es immer wieder innerlich starke Persönlichkeiten, deren Spiritualität, Überzeugung und Selbstaufopferung weltweit Anerkennung finden. Der Inder Mahatma Gandhi,  ein gläubiger  Hindu, hatte in London Jura studiert, bevor er die Idee des zivilen Ungehorsams entwickelte und  Kampagnen gegen die Ungerechtigkeiten der Briten in Indien organisierte. Gandhi praktizierte Gewaltlosigkeit und wurde 1948 ermordet. 

Auch der britische Lordkanzler Thomas Morus, der zu seinen Lebzeiten unbeugsam für humanistische Werte eintrat, wurde ermordet und ich könnte noch Hunderte dieser vorbildlichen Persönlichkeiten (Eichen) aufzählen, die innerlich nicht zerbrachen bei all den Stürmen, denen sie äußerlich ausgesetzt waren und die ihnen nicht selten Folter und den Tod brachten. 

Ein innerlich starker Mensch überlebt, selbst wenn er scheinbar entwurzelt, anderen Räumen entgegengeht. Das unterscheidet ihn vom Personen, die eigenständiges Gehen verlernt haben und sich von anderen stets nur feige oder vorteilsdenkend in Richtungen treiben lassen, in denen sie  innerlich verkümmern.

Helga König

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